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ungewöhnliche Klinge => wie IOS M 1855

original Thema anzeigen

01.09.09, 22:23:21

wolf

geändert von: wolf - 01.09.09, 23:11:28

Hallo,

ich habe neulich in einem Dorf in der tiefsten französischen Provinz einen Zufallsfund gemacht - fast für umsonst, und so konnte ich nicht widerstehen... Wie ich mit meinem absoluten Laienverstand inzwischen ergründen konnte, handelt es sich offenbar um einen bayerischen IOS M 1855.

Nun ist aber die Klinge - abgesehen vom Herstellerstempel - vollkommen ungestempelt. Auch die Parierstange enthält keinerlei Stempel. Wie es der Zufall will, gab es hier aber über eine nahezu identische Waffe schon einmal einen Thread, nämlich http://www.deutsches-blankwaffenforum.de/topic.php?id=364. Meine Klinge ähnelt der dortigen - so wie meine (übrigens Länge 83, Breite 2,2), scheint, den Fotos nach zu urteilen, auch die Klinge dort vernickelt und dadurch hochglänzend zu sein. Auch die Klinge in http://www.deutsches-blankwaffenforum.de/topic.php?id=38 sieht sehr ähnlich aus.

In http://www.deutsches-blankwaffenforum.de/topic.php?id=364 kam ulfberth zu dem Schluss:

"Die blanke Klinge ist in diesem Fall nicht eindeutig zu bestimmen. Preisliche Überlegungen oder eine Anpassung an den Zeitgeist leuchten mir nicht so recht ein. Möglicherweise liegt Grund dafür in einer Nachkriegsproduktion oder auch darin, daß die blanken Klingen für Vereine und Bürgerwehren vorgesehen waren."

und

"bedingt durch die brünierte Scheide mit einem Band/Ring dachte ich an die Zeit nach dem 1. Weltkrieg"

Das leuchtet mir zwar ein, nur hat bei meinem Exemplar die Scheide neben dem Tragring ja auch noch den Schleppring, was ja wiederum auf ein nicht ganz so junges Fertigungsdatum hinzuweisen scheint, oder? Und außerdem sieht sie einfach nach Metall aus, also nicht nach Brünierung.

Hat unter diesen Umständen jemand Hinweise auf das mögliche Alter des Säbels?

Es dankt Euch

Wolf
02.09.09, 00:01:20

ulfberth

Der bayerische I.O.S. taucht in der Regel erst nach dem 1. Weltkrieg in der in der "unvorschriftsmäßigen" Ausführung, also ohne den geätzten Schild mit dem Wahlspruch "In Treue fest" auf. Da dieses Modell bis in die Gegenwart bei Gebirgsschützen und Schützenvereinen Verwendung findet, ist eine Aussage zur Scheide wie bei Militärwaffen nicht möglich.

Eine geschwärzte Scheide ist zwar kaum vor 1909 anzunehmen, die zeitliche Zuordnung nach Bändern und Ringen dürfte bei diesem Säbel aber kaum möglich sein. Dafür waren die zivilen "Formationen" einfach zu buntscheckig ausgerüstet und bewaffnet.

Gruß

ulfberth
02.09.09, 00:23:58

wolf

Kann man aber wissen, bis wann das Modell überhaupt bei W.K & C hergestellt wurde?
02.09.09, 01:03:20

ulfberth

Das Modell erscheint bei WKC noch in den 30er Jahren in den Waffenkatalogen. Wobei ich die hier gezeigte Scheide für zeitlich früher einschätze.

Nur, hier sind wir wieder im spekulativen Bereich.

Natürlich konnte man eine Waffe "von der Stange" kaufen / oder nach eigenen Wünschen bestellen. Hierzu fanden dann natürlich auch vorrätige Teile aus frühere Fertigungen Verwendung.

Dienstlich gelieferte Stücke hingegen waren genau reglementiert, privat beschaffte Stücke hatten bis zu einem gewissen Grad den Vorgaben zu entsprechen und selbst ererbte Blankwaffen mußten bestimmten äußerlichen Formen genügen. Nur bei zivilen "Vereinswaffen" trifft dies nicht zu. Hier bleibt eine genaue Abgrenzung schwierig bis unmöglich.

Gruß

ulfberth
02.09.09, 01:23:30

wolf

Ah, okay. Könnte man also zusammenfassend ungefähr sagen:

Es handelt sich um eine nach dem Modell des bayerischen I.O.S. von 1855 gefertigte Waffe, die aufgrund der fehlenden Ätzung und Stempelung der Klinge wahrscheinlich für private Zwecke bzw. für einen Verein oder ähnliches beschafft wurde. Sie muss zwischen 1883 und dem Ende der dreißiger Jahre hergestellt worden sein, wobei die Klinge - wiederum aufgrund der fehlenden Ätzung und Stempelung - eher auf die Zeit nach dem Ende der Monarchie hindeutet, was aber nicht zwangsläufig so sein muss, da zum einen von dem oben genannten privaten Zweck auszugehen ist und zum anderen die Scheide wahrscheinlich eher früheren Datums ist.

?

Und noch eine Frage, aus Neugier: Ab wann wurden die Scheiden eigentlich für gewöhnlich nicht mehr mit Schleppring gefertigt, und warum nicht?

Danke und Gruß

Wolf
02.09.09, 04:13:58

limone

geändert von: limone - 02.09.09, 04:17:48

Ab 1895 wurde in Preußen die Trageweise der Degen/Säbel aufgesessen geändert:

Da die Seitenwaffe nun am Sattel befestigt wurde, konnten der Schleppriemen am Koppel und der untere Ring an der Scheide entfallen, dies galt für Offizierwaffen erst ab 1910.

Bilder:

Hier und hier klicken.

In Bayern ist das auch in diesem Zeitraum geschehen.

Grüße

Carsten
02.09.09, 16:15:56

Zietenhusar

Zitat von wolf:
Und noch eine Frage, aus Neugier: Ab wann wurden die Scheiden eigentlich für gewöhnlich nicht mehr mit Schleppring gefertigt, und warum nicht?
Hallo Wolf,

bezieht sich diese Frage allgemein auf Scheiden, oder auf die Scheide Deines Säbels? Bei Ersterem hat Carsten die Antwort gebracht. Bei Letzterem kann keine Aussage getroffen werden, denn zivile Blankwaffen unterlagen nicht den militärischen Vorschriften.

Nebenbei: Ob man zivile Waffen oder Vereinswaffen überhaupt mit der militärischen Modellbezeichnung versehen sollte, weiß ich nicht. Vereinsdegen und -schleppsäbel sehen z.B. auch wie IOD nA oder Artillerieextrasäbel aus, werden als solche aber nicht beschrieben.

Gruß,
Thomas
02.09.09, 17:45:51

wolf

Zitat von Zietenhusar:
bezieht sich diese Frage allgemein auf Scheiden, oder auf die Scheide Deines Säbels?

Nein, das war eine allgemeine, sozusagen "kulturgeschichtliche" Frage.

Zitat von Zietenhusar:
Bei Letzterem kann keine Aussage getroffen werden, denn zivile Blankwaffen unterlagen nicht den militärischen Vorschriften.

Das ist klar, aber, wie bei den Säbeln selbst auch, sind die Vereine ja ganz offenbar quasi "Kulturfolger" des Militärs, so dass sie also die neue "Mode" dann offensichtlich irgendwann mitgemacht haben.

Zitat von Zietenhusar:
Nebenbei: Ob man zivile Waffen oder Vereinswaffen überhaupt mit der militärischen Modellbezeichnung versehen sollte, weiß ich nicht.

Ja, das leuchtet ein. Ich wäre im Lichte meiner neuen Erkenntnisse auch nicht mehr auf die Idee gekommen, meinen Säbel als "bayerischen I.O.S. Modell 1855" bezeichnen zu wollen. Ich wollte nur eine möglichst genaue Beschreibung dieses schönen Dinges erarbeiten, das mir da so unerwartet und fast geschenkt in die Hände gefallen ist, und da gehört m.E. doch schon rein, dass er "nach dem Modell [...] gefertigt" ist, finde ich - das Vorbild ist ja nicht zu verkennen, er ist ja sozusagen eine 100%-Kopie ohne Stempelung und Gravur, und hätte er ein anderes Vorbild, dann sähe er doch deutlich anders aus.

Danke für Eure Hilfe, das war prima!

Gruß, Wolf
02.09.09, 19:18:45

Zietenhusar

Zitat von wolf:
...da gehört m.E. doch schon rein, dass er "nach dem Modell [...] gefertigt" ist...
Hallo Wolf,

ohne Frage. Ich wollte mit meinem Einwurf keinen Verdruß erzeugen. Das war mir beim Schreiben gerade so eingefallen und ist nur eine Überlegung gewesen :) .

Gruß,
Thomas
02.09.09, 20:17:05

wolf

Zitat von Zietenhusar:
Ich wollte mit meinem Einwurf keinen Verdruß erzeugen. Das war mir beim Schreiben gerade so eingefallen und ist nur eine Überlegung gewesen :)

Nein, keine Sorge, keinerlei Verdruss. :-)

Jetzt bräuchte ich nur noch ein - zumindest zeitlich - halbwegs passendes Portepée... Ja, ja, so zieht das eine das andere nach sich... :-)
 
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