Schmiedeschraubstock (Flaschenschraubstock) antik
15.05.24, 05:20:15
Zietenhusar
Vom
anderen Thema mit meinen Schmiedeschraubstöcken abgekoppelt stelle ich diesen hier separat vor. Denn ich vermute, dass er mindestens 150, wenn nicht sogar über 200 Jahre alt ist.
Zuerst einmal, wie es dazu kam.
Meine Frau befand sich die letzten beiden Wochen im Krankenhaus und unterhielt sich mit ihrer Zimmergenossin über die Macken ihres Mannes. Und das kam dabei heraus.
Gespräch stark gekürzt:
Meine Frau:
Mein Mann schraubt an alten Schraubstöcken herum.
Frau im Bett gegenüber:
Mein Mann hat noch zwei alte Schraubstöcke abzugeben.
Und das Unheil begann. :D Nun gut, denke ich, es wird sich um Standard-Werkzeug handeln. Aber egal, ich nehme alles mit, ehe es in den Schrott wandert.
Also angerufen und hingefahren, kurz gestaunt, bezahlt und damit nach Hause gefahren.
Part 1: Fundzustand
Dieser Schraubstock stammt aus der Familie der Frau im Krankenhaus. Er gehörte ihrem Großvater, 1887 geboren. Wohl eher vom Opa dieses Opas.
Meine Frau kommt heute wieder nach Hause. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut.
Der Werdegang des Werkzeugs erfolgt nach und nach unter dieser Überschrift.
15.05.24, 10:28:20
Ulan13
Zunächst einmal die besten Wünsche zur Gesundung Deiner Frau!!
Nun zum Schraubstock und der Geschichte drumherum: Mal wieder ein hervorragendes Beispiel zur Anziehungskraft des Bezüglichen! Was sich so sperrig anhört, bedeutet nichts anders als: Hat der Thomas endlich einen Schmiedeschraubstock nach einer wahren Odyssee gefunden, so stellen sich alle übrigen von ganz alleine ein... :D :D
Bin schon sehr gespannt, was Du daraus machst und wie das gute Stück dann aussieht!
Grüße vom Ulanen
16.05.24, 05:16:02
Zietenhusar
Zunächst einmal die besten Wünsche zur Gesundung Deiner Frau!!
Vielen Dank, das kann sie dringend gebrauchen!
Bin schon sehr gespannt, was Du daraus machst und wie das gute Stück dann aussieht!
Dann mal weiter mit dem Thema.
Zuerst die Spindel und deren Gegenstück. Im Gegensatz zu den Spindeln der anderen Schmiedeschraubstöcke, hat diese hier keine weitere Unterlegscheibe oder Ähnliches um die Reibung am Durchlass der vorderen Backe zu vermindern.
Die Gewindesteigung ist bei Schmiedeschraubstöcken sehr groß. Das erlaubt eine sehr schnelle Einspannung des glühenden Werkstücks, damit es sich nicht so schnell wieder abkühlt. Die Steigung dieses Gewindes ist aber gewaltig. Auf 150 mm Länge kommen gerade mal 8 Gänge.
Die Hülse für das Innengewinde ist rundgeschmiedetes Flachmaterial, welches an der Längsverbindung mit Kupfer verlötet wurde. Das Innengewinde ist eine eingelegte Spirale, an einigen Punkten angelötet. Die Endkappe ist ebenfalls auf die Hülse gelötet und war ursprünglich mal komplett verkupfert. Die Gewindespirale hat sich teilweise gelockert,
siehe Video.
Gestern hatte ich einen ähnlich gearbeiteten Schmiedeschraubstock entdeckt, der vom Besitzer in die Zeit um 1750-1770 eingeordnet wurde, mit England als Herkunftsland genannt.
Ich bin irgendwie nicht so mutig, um diesen hier so alt zu schätzen, aber wenn man sich die Entwicklung der Eisen- und Stahlverarbeitung des 19. Jahrhunderts so betrachtet, dann darf man das ausgehende 18. Jahrhundert schon gut und gerne annehmen.
Es wurden einige Schweißarbeiten an diesem Stück angebracht, die wiederum so alt sind, dass man sie optisch nur noch schwer und als Laie gar nicht wahrnehmen kann.
17.05.24, 05:04:31
Zietenhusar
Als Nächstes zeige ich die beiden nachträglichen, oben erwähnten Schweißstellen. Die wurden mal angebracht, um zu versuchen, ihn wegen verlustig gegangene und/oder verschlissene Teile wieder gängig zu machen. Sie sind von der Korrosion her auch schon sehr alt und kaum als solche erkennbar. Habe sie mal rot eingekreist, für ungeschulte Augen.
17.05.24, 11:03:08
Ulan13
Zum letzten Bild: :D :D Ich denke, ich werde Dich doch noch für die nächste Dokumenta melden...!
Weiter so!
Grüße vom Ulanen
18.05.24, 05:10:31
Zietenhusar
...ich werde Dich doch noch für die nächste Dokumenta melden...!
Wo ich doch dermaßen unkreativ bin! :D
Die Achse, eine Schraube, welche die bewegliche Backe an dem Kasten hält, hat ein sogenanntes
Rundgewinde. Ob es seinerzeit schon, wie es heutzutage beschrieben wird, wegen seiner besonderen Eigenschaften angebracht wurde, ist fraglich. Wahrscheinlich ließ es sich damals nur einfacher herstellen?
Die schwalbenschwanzförmige Befestigung für den Werktisch ist in seiner Form nicht original. Hier wurde in früherer Zeit entweder die originale Befestigungsplatte oder eine neue mittels Brenner grob geteilt und aufgebogen. Dann an ein Rundeisen geschweißt, durch die originale Bohrung der festen Backe geschoben und alle drei Teile miteinander verschweißt. Im Originalzustand würde durch diese Öffnung eine Gewindestange geschoben, innen eine Stahlfeder mit aufgeschoben und mit einer Mutter verschraubt. Ich bin stark am überlegen, diesen Zustand wieder herzustellen. Andererseits dürfte ich mit so einer Aktion den geschichtlichen Ablauf zerstören. Da ich ihn nicht zum Arbeiten benötige, sollte so eine Aktion gut überlegt sein.
18.05.24, 10:58:15
Ulan13
geändert von: Ulan13 - 18.05.24, 11:05:00
Ich würd' es so lassen. Erstens hast Du völlig recht, es würde den historischen Werdegang zerstören, zweitens wäre auch der optische Eindruck ziemlich gestört mit Neuteilen an dem doch recht rostnarbigen Stück. Es würde dann, obgleich korrekt, doch "verbastelt" aussehen. (Es sei denn, Du schaffst mit Säure eine ähnliche Oberflächenstruktur, dann könnte es sogar ganz gut aussehen!) Ich kenne das von reaptierten Pistolen/Gewehren. Ein patiniertes Schloßblech und dann ein glänzender, ergänzter, neu wirkender (wenn auch sogar alter) Steinschloßhahn, das sieht nix aus.
Aber ist natürlich Deine Entscheidung!
Ein schönes Pfingstwochenende und Grüße vom Ulanen
19.05.24, 06:19:36
Zietenhusar
Bevor ich das Ergebnis zeige, vorweg die durch den Leinölfirnis deutlicher gewordenen Kupferlötstellen. Auf dem letzten Foto sieht man die angelötete Endkappe mit rotem Schimmer auf der gesamten Fläche. Das muss mal richtig interessant ausgesehen haben.
19.05.24, 06:23:57
Zietenhusar
Und wieder zusammengebaut.
Hier entlang zur 3D-Ansicht.
Und zum Vergleich
ein Vorhervideo.
Schöne Pfingsten,
Thomas
19.05.24, 11:44:43
Ulan13
:super: Klasse geworden, archaisches Teil vom
Wieland dem Schmied ;)
Auch die Vorher-Nachher-Videos sind sehr nett. Diesmal keine Katze auf dem Draußen-Video (vorher), sondern Hahnenschreie. Geht ja tierisch ab bei Euch... :D
Vielen Dank fürs Zeigen und pfingstliche Grüße vom Ulanen